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Ratgeber

Schule in der Coronakrise – Probleme und Chancen

8 Sep, 2020

Schule in der Coronakrise – Probleme und Chancen

„Die Kopplung von Unterricht und Präsenz löst sich auf“

Die Coronakrise hat Schule in kürzester Zeit grundlegend verändert. Während die einen sich mit dem Homeschooling schnell angefreundet haben, blieb es den anderen ein Gräuel. Nun normalisiert sich die Schule ein Stück weit – und doch bleibt vieles anders als bisher. Wie sieht die Zukunft für Schüler, Referendare und Lehrer aus? Darüber hat die Redaktion mit Stefan Pfeuffer gesprochen, dem stellvertretenden Seminarleiter am Studienseminar für Gymnasien im hessischen Marburg.

Herr Pfeuffer, wie hat die Coronakrise die Schule verändert?

Der Schritt ins „Homeschooling“ war mit dem Lockdown natürlich drastisch – und nicht für alle Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst, Lehrerinnen und Lehrer sowie und Schülerinnen und Schüler * einfach. Digitales Lernen wurde ja zuvor noch nie in dieser Form praktiziert. Dabei gab es beispielsweise eine Reihe von Schwierigkeiten rechtlicher und technischer Art. Dennoch hat es recht schnell schon gut geklappt, sich über digitale Medien miteinander auszutauschen. Nach einiger Zeit sind Schulen zu Teilen wieder zum Präsenzunterricht zurückgekehrt. Heute habe ich den Eindruck, dass die Kombination von beiden Formen am erfolgversprechendsten ist.

Wie gelang es, diese Herausforderung zu meistern – und wie geht es in Zukunft weiter?

Die größte Herausforderung lag darin, sämtliche Lernprozesse im Hauruckverfahren auf virtuelle Formen umzustellen. Das war ein immenser Aufwand, nachdem die Bildungslandschaft in diesem Bereich zuvor infrastrukturell schwach aufgestellt war. Jetzt versuchen wir, die Welle mitzunehmen. Dabei dürfen wir aber Probleme nicht aus den Augen verlieren, die uns auch langfristig begleiten. Neben den organisatorischen Aspekten wird dabei sicherlich die Bildungsgerechtigkeit ein wichtiges Thema bleiben. Denn während die Kinder von Eltern, die zu Hause zwei Arbeitszimmer, mehrere Laptops und einen modernen Drucker haben, beinahe traurig sind, wieder in die Schule zu müssen, gibt es auch die andere Seite. So haben nicht alle Schüler Zugang zu modernen Geräten – vielleicht mussten sich viele zu dritt zu Hause einen Laptop teilen. Manche Familien verfügen nicht einmal über einen Internetzugang. Auch für deren Kinder müssen wir einen Zugang zu optimaler Bildung sicherstellen.

Wie erging es Ihren Referendaren?

Im Großen und Ganzen kamen die Referendare bislang gut durch die Krise. Denn die jungen Lehramtsanwärter sind ja in der Regel sehr digital-affin. Natürlich gab es auch hier einige Hürden – insbesondere ist der Mangel an Unterrichtspraxis ein zentrales Problem. Inzwischen sind die Referendare, die in ihrer Ausbildung ja praktische Erfahrung als Lehrer an der Schule machen und zu einem anderen Teil bei uns am Seminar damit reflexiv arbeiten sollen, wieder beinahe vollständig vor Ort präsent. Aber auch heute gibt es bei uns am Seminar noch eine Reihe von Problemen, denen wir uns stellen müssen. So dürfen Räume nur mit einer bestimmten Anzahl von Personen belegt werden. Um dem gerecht zu werden, wird ein Teil unserer Seminare weiterhin per Videokonferenz oder über asynchrone Lehrangebote durchgeführt. Ich denke, dass wir einige von den Neuerungen mit in die Zukunft nehmen können – auch im Hinblick auf die Ausbildung von Lehrern ist das ein Vorteil. Als langjähriger Imker wird mir in Zeiten wie diesen übrigens nochmal bewusster, wie wichtig es ist, der Kraft der Natur und der Mikrointelligenz von Systemen Raum zu geben. Das kann helfen, auch angesichts beengter Rahmenbedingungen mit Weitblick zu agieren.

Wie haben die Referendare ihre Prüfungen abgelegt?

Die Prüfverfahren wichen 2020 aufgrund der Coronakrise grundlegend von den Standards aus früheren Jahren ab. So haben wir in Hessen anstelle von Lehrproben insbesondere auf die Bewertung von Unterrichtsentwürfen gesetzt. Darüber hinaus haben wir die Reflexion dieser Entwürfe und die fachdidaktische sowie methodische Vertiefung in die Bewertung einbezogen. Das kam vielleicht denjenigen ein wenig mehr zugute, die ihre Stärken in der Vorbereitung von Unterrichtsstunden haben. Der eine oder andere starke „Performer“ hätte wiederum mit einer Lehrprobe vor Ort unter Umständen etwas besser abgeschnitten. Klar war immer: Das Verfahren war juristisch sauber - allerdings entspricht es nicht unserem Anspruch, die Lehrerpersönlichkeit und die Beziehung zu den Schülern in die Bewertung einzubeziehen. Denn das ist ja, was die Lehrer später brauchen. Dennoch denken wir: Eine gute Vorbereitung bedeutet letztlich meist auch guten Unterricht. Positiv ist in jedem Fall, dass alle Lehramtsanwärter die Prüfungen erfolgreich gemeistert haben.

Wie klappt es mit dem Tragen von Mund- und Nasenschutz für Schüler?

Das Tragen einer Maske ist für die meisten von uns nach wie vor gewöhnungsbedürftig – das gilt gerade auch für junge Menschen und damit für die Kinder und Jugendlichen an unseren Schulen. Es führt zu einer gewissen gewollten Distanz und erschwert damit Beziehungen. Die Lehrkräfte sind gefordert, immer wieder aufs Neue zu vermitteln, warum die Maske pandemiebedingt notwendig ist: Nämlich, um Kontakte pflegen zu können, ohne andere zu gefährden. Ich gehe davon aus, dass Mund- und Nasenschutz sich wie im asiatischen Raum dauerhaft etablieren werden. Auch über Corona hinaus bleiben Masken künftig – etwa bei Grippewellen – im öffentlichen Raum ständige Begleiter.

Wie geht es nun weiter – und was ändert sich für Schüler?

Ob im privaten oder im beruflichen Bereich: Das Leben wird sich für uns alle so schnell nicht wieder normalisieren. Daher hoffe ich, dass wir aus dieser schwierigen Situation etwas Positives machen – und dass wir das Momentum im Bildungsbereich beibehalten. Für besonders wichtig halte ich in diesem Zusammenhang die Individualisierung und somit Selbstverantwortung der Schüler. Dazu gehört auch die Idee des asynchronen Lernens: Jeder einzelne kann zu unterschiedlichen Zeiten und an unterschiedlichen Orten lernen. Diese Entwicklung, die getragen wird von digitaler Innovation, wollen wir künftig noch deutlich stärker fokussieren – und zwar für Referendare und Lehrer ebenso wie für Schüler. Die zwanghafte Kopplung von Unterricht und Präsenz löst sich auf. Unterricht ist immer dann, wenn Bildung geschieht. Ist es nicht viel cooler, wenn Schüler in den Wald gehen, ein Projekt machen, vielleicht einen Fuchsbau fotografieren und die Zusammenhänge später online recherchieren? Dabei werden individuelle Leistungen viel stärker gewürdigt als das bislang der Fall ist.

Gibt es in Zukunft noch einheitliche Bildung?

Ich glaube, dass es viele unterschiedliche Ansätze geben wird. Unser Alltag – und damit auch die Bildung – verlaufen damit sicher weniger einheitlich als bislang. Es gibt mehr Subsidiarität, die notwendigerweise mit Unterschieden verbunden ist. So werden viele Fragen beispielsweise zwischen Bundesländern oder Regionen, aber auch selbst innerhalb einer Schule, unterschiedlich gehandhabt. Damit wird letztlich der Tatsache Rechnung getragen, dass ein „One-Size-fits-all“-Ansatz im Grunde nie die Realität abbilden kann. Ob es um Lernorte gehen wird oder um die Frage, welche digitalen Plattformen genutzt werden: All diese Dinge werden sich künftig stärker ausdifferenzieren als zuvor.

 

Über Stefan Pfeuffer

Stefan Pfeuffer, Jahrgang 1968, ist Gymnasiallehrer für Mathematik und Religion und leidenschaftlicher Imker. Seit rund acht Jahren ist er als stellvertretender Leiter des Studienseminars für Gymnasien in Marburg in der Ausbildung von Referendaren tätig. Das Referendariat ist die zweite Phase der Lehrerausbildung, die an das Studium anschließt. Zum Job von Stefan Pfeuffer gehören die Supervision und Anleitung von angehenden Lehrern ebenso wie die Durchführung von Lehrproben – einer Art „Führerscheinprüfung“ für Lehrer – und die Abnahme der zweiten Staatsexamina am Ende des Referendariats.

 

* Aus Gründen der Lesbarkeit wird im weiteren Verlauf des Interviews, wie in journalistischen Texten üblich, die maskuline Form gewählt. Personen aller Geschlechter sind dabei immer gleichermaßen einbezogen.

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